Pionier

Premium Cola

Besonderheit

Ein konsensdemokratisches Internetkollektiv produziert Cola

Stellen Sie sich ein Getränkeunternehmen vor – ohne Angestellte, ohne Chef, ohne Bürogebäude, ohne Werbung, ohne Strategie, ohne Businessplan, ohne Wachstumsanspruch, ohne Profitstreben.
Geht gar nicht? Doch! Es heißt PREMIUM und beweist seit 2001, dass faires und transparentes Wirtschaften funktioniert. Die Organisation nennt sich selbst „Kollektiv“ und 220 Kollektivistinnen reden bei allen unternehmerischen Entscheidungen mit. Manche werden jetzt die Augen verdrehen und denken: ein Albtraum!

greenblock
Organisation

PREMIUM

Unternehmenssitz

Internet

Umsatz

€ 650.000

Gründungsjahr

2001

Mitarbeiter

240

Internetkollektiv

Start-Up

Geht doch!

Stellen Sie sich ein Getränkeunternehmen vor – ohne Angestellte, ohne Chef, ohne Bürogebäude, ohne Werbung, ohne Strategie, ohne Businessplan, ohne Wachstumsanspruch, ohne Profitstreben. 
Geht gar nicht? Doch! Es heißt PREMIUM und beweist seit 2001, dass faires und transparentes Wirtschaften funktioniert. Die Organisation nennt sich selbst „Kollektiv“ und 220 Kollektivistinnen reden bei allen unternehmerischen Entscheidungen mit. Manche werden jetzt die Augen verdrehen und denken: ein Albtraum!

PREMIUM entstand aus dem Ärger eines afri Cola Kunden. Die hoch koffeinhaltige Getränkemarke war 1999 von einem Getränkekonzern gekauft worden. Der neue Eigentümer reduzierte den Koffeingehalt der Cola, um die Zielgruppe zu vergrößern. Geschmack und Wirkung sollten gefälliger und der bekannten Coca-Cola® ähnlicher werden. Der Hamburger afri Cola-Fan Uwe Lübbermann protestierte: Wie konnte der Produzent einfach klammheimlich die Kundinnen bevormunden, die die Cola ja gerade für den hohen Koffeingehalt liebten?

Gründungsstunde

Der Hersteller blieb unbeeindruckt und so gründete Lübbermann die „Interessensgruppe Premium“. Gemeinsam mit anderen wütenden Koffeinfans diskutierte er zwei Jahre mit dem Getränkekonzern. Ihr Anliegen war, dass auch Konsumentinnen Mitspracherecht bei grundlegenden Produktentscheidungen haben sollten. Der Konzern ging jedoch auf das Kundenfeedback nicht wirklich ein, brachte stattdessen noch ein Lightprodukt in Plastikflasche auf den Markt. Durch Zufall meldete sich ein Abfüller, der noch das Originalrezept hatte.

Aus einem Experiment wurde ein Geschäftsmodell. Die Interessensgruppe änderte eine Zutat und stellte 2001 ihre „Premium-Cola“ selbst her. Die ersten tausend Flaschen waren schnell vergriffen und so kam die Idee, damit in Serie zu gehen. Aus der Interessensgruppe wurde eine Organisation mit dem Purpose, ein faires, ökologisches und sozial tragfähiges Wirtschaftsmodell vorzuleben und zu verbreiten.

Nicht nur das Produkt sollte unter Einbeziehung aller Beteiligten fair hergestellt werden, auch die Organisation, die diese Herstellung organisiert, sollte Ausdruck von fairem, ökologisch und sozial nachhaltigem Wirtschaften sein.

Uwe Lübbermann / (c) funkenzeit.de

online-demokratisch

Was sich seither daraus entwickelt hat, ist ein konsensdemokratisches Internetkollektiv. PREMIUM hat keine Angestellten, kein Büro und stellt selbst auch keine Getränke her. Alle Beteiligten arbeiten; wo sie wollen und kommunizieren über Internet oder Handy. Produktion, Logistik und Handel erledigen jeweils selbstständige Profis als regelmäßige Auftragnehmende, die allerdings gleichberechtigt mitentscheiden können. Jede, die mit PREMIUM zu tun hat, ist eingeladen mitzubestimmen. Produzentinnen der Zutaten, Abfüllende, Spediteurinnen, Händlerinnen, Gastronominnen und natürlich alle Konsumentinnen können zu Kollektivistinnen werden.

Voraussetzung sind: mindestens eine Flasche Premium getrunken haben, eine Kollektivistin persönlich kennen und ein Mail an PREMIUM schreiben mit Informationen zur eigenen Person und der Motivation. Als neue Kollektivistin erhält man dann Zugang zum PREMIUM-Board, einem Onlineforum, in dem alle Entscheidungen diskutiert und getroffen werden. 
Die mittlerweile 1.700 gewerblichen Partnerinnen und 800 Verkaufsstellen ergeben zusammen mit den Kundinnen einen Organismus der Wechselwirkungen. Wird etwas am Produkt geändert, wirkt sich dies auf alle aus. Für Uwe Lübbermann war es daher von Anfang an logisch, dass alle im System mitentscheiden sollen.

Alle reden mit

Es herrscht Konsensdemokratie, das heißt, im Diskurs zu einem Thema werden Vorschläge entwickelt. Sobald eine Kollektivistin gegen einen Vorschlag stimmt, ist er vom Tisch. Ziel sind Lösungen, die für alle Beteiligten passen. Eine Kollektivistin erzählt, dass die Entscheidungsprozesse dadurch manchmal sehr langwierig sind, bis der Konsens gefunden ist. Zugleich seien die Entscheidungen deutlich sozialer und intelligenter, weil alle Bedarfe und Meinungen einbezogen werden. Und so gleiche sich der höhere Zeitbedarf später aus, weil die getroffenen Entscheidungen lange von allen mitgetragen und nicht mehr infrage gestellt werden.


Hilfreiche Faktoren für die Konsensdemokratie bei PREMIUM sind ein Vorschussvertrauen in die positive Intention neuer Kollektivistinnen (anstatt der Idee, jemand müsse sich sein Vertrauen erst verdienen), Geduld und Sachlichkeit im Diskurs, eine Kontinuität von zentralen Kollektivistinnen (Premium hat im gesamten Netzwerk eine ungewöhnlich niedrige Fluktuation von nur zwei Prozent) und gute Moderationstechniken (zuhören, ausreden, deeskalieren). Das Kollektiv hat „Premium-OS“ entwickelt, ein Betriebssystem für die Organisation, das auch für andere Unternehmen als Steuerungsmodell für ethisches Wirtschaften frei nutzbar ist. Für die drei Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziales gibt es im Betriebssystem Module mit Leitlinien zu Struktur und Prozessen.

Anti-Mengenrabatt

Übermäßiges Gewinnstreben und Werbung sind bei PREMIUM tabu. Werbekosten würden an die Konsumentinnen weitergegeben und Gewinnorientierung würde in Kostendruck der Lieferantinnen und überzogenen Getränkepreisen münden. So kann es vorkommen, dass die Flaschenpreise gesenkt werden, wenn alle Kosten gedeckt sind. Ziel ist am Jahresende immer eine schwarze Null.

Ein „Anti-Mengenrabatt“ soll es auch Abnehmerinnen von Kleinstmengen ermöglichen, PREMIUM-Getränke zu verkaufen. Anstatt Großhändlerinnen den Preis zu reduzieren, wird auf jede Flasche ein Cent aufgeschlagen, um damit den Einkäuferinnen von kleinen Mengen einen Rabatt gewähren zu können.

Fair für alle soll der Verkauf sein. Gemeinsam wird jedes Jahr festgelegt, wie die Anteile am Flaschenverkauf gerecht verteilt werden. Das Kollektiv achtet auch darauf, dass die Speditionen den Lkw-Fahrerinnen Ruhezeiten zugestehen oder dass die Flaschensortiererinnen auf den Leerguthöfen einen fairen Lohn erhalten.

PREMIUM-Getränke / (c) PREMIUM

Mittlerweile sind zur Premium-Cola noch ein Bio-Bier, Sekt und Limonaden dazu gekommen. Der Vertrieb funktioniert über „Sprecherinnen“. Sprecherinnen sind Fans, die in ihren Lieblingslokalen oder -Bars nachfragen, ob Interesse besteht, die PREMIUM-Getränke ins Sortiment aufzunehmen. Es geht nicht um Expansion, sondern darum, mehr und mehr Menschen mit den PREMIUM-Grundsätzen und der Arbeitsweise in Kontakt zu bringen.

Schriftliche Verträge mit Geschäftspartnerinnen werden nicht abgeschlossen – nach dem Motto: „Ohne Vertrauen hilft auch keine Kontrolle“. Beide Seiten wissen, dass die Partnerschaft vom gegenseitigen Vertrauen lebt und bemühen sich dementsprechend darum. Wenn es für eine Seite nicht mehr passt, wird neu gesprochen. Lübbermann vermutet, dass die Geschäftsbeziehungen auf diese Weise stabiler sind, als wenn sie mit Verträgen festgehalten wären.

Gemeinsam entlassen

Die Trennung von Kollektivistinnen wird auch im Konsens entschieden. Jede kann jede andere nominieren, ausgeschlossen zu werden, wenn es dafür einen schwerwiegenden Grund gibt, zum Beispiel Diebstahl. Außer der nominierten Person kann jede Kollektivistin Veto gegen diesen Vorschlag einlegen. So mussten seit Beginn des Kollektivs erst zwei Kollektivistinnen PREMIUM verlassen – ein im Vergleich mit anderen Unternehmen niedriger Wert. Es herrscht das Prinzip der Gleichwertigkeit bei PREMIUM – jede Stimme zählt gleich viel. Mit einer Ausnahme – der Notstandsregelung für Entscheidungen. Sie gilt für jene Personen im Kollektiv, von deren Aufgaben die Produktion der Getränke abhängt. Wenn im Konsensverfahren keine Entscheidung zustande kommt, aber die Zeit drängt, weil produziert werden muss, dürfen diese Rollen eine kurzfristige Einzelentscheidung treffen.

Anschließend muss sie gegenüber dem Kollektiv gerechtfertigt werden. Anschließend wird gemeinsam nach einer langfristigen Lösung gesucht.

Einheitslohn

Auch Uwe Lübbermann hat nicht mehr Macht als alle anderen. Der Gründer und offizielle Eigentümer der Marke verzichtet bewusst auf alle Rechte, die damit verbunden wären. Auch er verdient den PREMIUM-Einheitslohn. Dieser setzt sich zusammen aus dem Grundlohn von 15 Euro brutto pro Stunde und den Faktoren x, y, und z. Der Faktor x erhöht den Grundlohn aller Arbeitenden, sofern dies für Premium wirtschaftlich möglich ist. So lag der Grundlohn die vergangenen anderthalb Jahre bei 20 Euro brutto je Stunde. Der Faktor y kann für besondere finanzielle Belastungen beantragt werden, zum Beispiel für Kinder. Faktor z ist ein Arbeitsplatzzuschlag für jene, die regelmäßig für PREMIUM arbeiten, weil das Unternehmen keine Arbeitsplätze anbietet.

Lübbermann ist begeistert, wie sich das Kollektiv entwickelt hat – von wegen Albtraum. Aus dem Ärger mit der Lieblingscola ist die Erfüllung eines Traums geworden: Mit einem schuldenfreien Unternehmen und einem Verkauf von 1,5 Millionen Flaschen pro Jahr ist bewiesen, dass innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems faires, ökologisches und soziales Wirtschaften möglich ist.