Pionier

Traum-Ferienwohnungen

Besonderheit

Ein Weg in die Selbstbestimmung und in den Konzern


Traum-Ferienwohnungen ist ein Onlineportal, das Ferienwohnungen vermittelt. Als das Bremer Start-Up in die schwarzen Zahlen kam und das Team rasant größer wurde, bildeten sich die üblichen Abteilungs-„Silos“ und die Firma wurde langsam. Ein gemeinsam gestalteter Transformationsprozess Richtung Selbstorganisation hat es geschafft, die Dynamik der Anfangs-Jahre wieder herzustellen.

greenblock
Organisation

Traum-Ferienwohnungen GmbH

Unternehmenssitz

Bremen

Umsatz

€ 7,8 Mio

Gründungsjahr

2001

Mitarbeiter

140

Transformation

Konzerntochter

Start als Start-Up

Traum-Ferienwohnungen ist ein Onlineportal, das Ferienwohnungen in Deutschland und an beliebten internationalen Urlaubszielen vermittelt. Die Vermietenden zahlen eine Gebühr, um ihre Wohnung online zu stellen, die Gäste buchen ohne Provision. Das Unternehmen mit Sitz in Bremen hat heute über 140 Mitarbeitende und vermittelt über 100.000 Ferien-Wohnungen in 74 Ländern.
Die Gründung im Jahr 2001 durch Nicolaj Armbrust und Sebastian Mastalka entstand aus Mastalkas Versuch, die Ferienwohnung seiner Mutter am Ammersee übers Internet zu vermieten.
Nach drei prekären Gründungsjahren noch ohne Büro und Mitarbeitende
konnten die Gründer 2004 erstmals von ihrem Unternehmen leben. Nach und
nach kamen Mitarbeitende dazu. Im ersten Büro 2008 saß das ganze Team noch am großen Tisch mit kurzen Kommunikationswegen.

Die Gründer Sebastian Mastalka und Nikolaj Armbrust

Mit dem Wachsen der Organisation wurde die Einführung von Abteilungen nötig. Als dann aus 40 schnell 80 Mitarbeitende wurden, beobachteten die Gründer die übliche fachliche Silobildung in der Ausdifferenzierung der Organisation. Die Entwicklungsabteilung hatte sich abgekoppelt und war für Marketing oder Support kaum zu erreichen. Die Organisation entfernte sich von den Kundinnenbedürfnissen und wurde
langsamer. Zugleich war Traum-Ferienwohnungen immer noch sehr erfolgreich.

Der Mitarbeiter Achim Hensen, der als Wirtschaftspsychologe in die Firma gekommen war, lenkte den Blick immer wieder auf die Phänomene der Silobildung und Bürokratisierung. Das Credo von ihm und Armbrust war: »Wir müssen uns verändern, auch wenn es noch keinen echten Leidensdruck gibt!« Auch Sebastian Mastalka ließ sich anstecken. Beide vermissten die Dynamik und Flexibilität der ersten Jahre und fragten sich, ob so etwas in einer gewachsenen Organisation noch möglich sei.

Change entscheiden

2015 fiel die Entscheidung für einen Change. Ein externer Berater half Traum-Ferienwohnungen, die »Löcher im Traumschiff« zu finden, wie Armbrust formulierte. Mit einem von der ganzen Belegschaft gewählten Kernteam (zusammengesetzt aus verschiedenen Bereichen und Hierarchien), das den Auftrag hatte, über die zukünftige Zusammenarbeit zu entscheiden, gingen sie den Fragen auf den Grund: Wo hakt es eigentlich? Und wie kommt es dazu? Neben der Silobildung, der Entfernung von Kundinnen-Bedürfnissen und der mangelnden Kommunikation zeigte sich auch, dass 15 Jahre lang Konflikte verschleppt und nicht konstruktiv bearbeitet worden waren. Selbst zwischen Mitarbeitenden wurden Konflikte nicht geklärt, sondern in die Verantwortung der Führung geschoben.

Parallel machte sich das Kernteam auf die Suche nach dem Purpose der Organisation. Die Idee war: »Nur wenn wir verstehen, was uns treibt, können wir die passenden Entscheidungen treffen, Strategien wählen und Organisationsstrukturen bauen.« Mithilfe des WHY-Prozesses kam das Kernteam zu dem Purpose »Persönliche Verbindungen schaffen zwischen Menschen«. Sinn der Organisation war es einerseits, Urlauberinnen und Vermietende zu verbinden, aber auch in der Art der Zusammenarbeit intern und extern auf Verbindung zu achten. Der Satz wurde in Workshops und World Cafés mit der ganzen Belegschaft diskutiert. Im Zentrum stand die Frage: Wie stehst Du zu diesem Why und was tun wir als Firma, um ihn zu erfüllen?

Elemente der Zusammenarbeit / © Traum-Ferienwohnungen

Neue Organisationsform

Aus den Ergebnissen und aus der
Diagnose über Kommunikation und Konflikte entwickelte das Kernteam eine
Organisationsform, die sich an den Kundinnenbedürfnissen orientiert und dafür auf formale Hierarchie verzichtet. Die neue Struktur sollte Kommunikation und Entscheidungen effektiver machen, Konflikte an die Oberfläche bringen und so eine agile Organisation erzeugen, die die Kundinnen im Fokus hat.
So entstanden vier Teams: die drei Teams »Gäste/Urlauber«, »Privatvermieter« und »Gewerbliche Anbieter« mit direktem Kundinnenbezug und das Team
»Zentrum« als Zelle und Dienstleister für die anderen. Statt funktionshomogenen
Abteilungen gibt es nun alle relevanten Funktionen in jedem Team (Entwicklung,
Marketing, Support usw.).

Das Zentrum soll möglichst klein und ohne Steuerungsfunktion
bleiben. Anders als der »Wasserkopf« Zentrale in vielen Unternehmen
sollen diese Zentralfunktionen reine Dienstleister sein. Jede Mitarbeitende hat hohe Entscheidungsautorität. Schwierige und kritische
Entscheidungen werden durch einen konsultativen Beratungsentscheid getroffen, der es ermöglicht, die Intelligenz der Gruppe zu nutzen und mit der Verantwortung und Geschwindigkeit einer Einzelentscheidung zu kombinieren. Die Unternehmenskultur ermutigt
auch zu ungewissen Entscheidungen, um Lernen zu ermöglichen. Die beiden
Gründer unterstützen, wo sie können, und reflektieren mit den Teams innerhalb eines Gremiums kontinuierlich über die strategische Weiterentwicklung.

Herausforderungen

Die radikale Transformation auf Strategie-, Struktur- und Personenebene gelang.
Alle ehemaligen Abteilungsleitenden blieben im Unternehmen, obwohl sie
ihren formalen Führungstitel verloren hatten. Erfolgsfaktoren waren der intensive Diskurs, die Offenheit im Prozess, zu welcher Lösung man gemeinsam gelangen würde, und die Tatsache, dass die neue Organisationsform für die Situation von
Traum-Ferienwohnungen maßgeschneidert wurde, anstatt vorhandene Modelle wie Holacracy einzuführen. Natürlich ermöglichte auch die wirtschaftlich gute Situation einen so tiefgreifenden Change ohne den Stress einer finanziellen Krise.

Dennoch war die Transformation für alle herausfordernd. Entgegen der Prägung,
die Mitarbeitende in der ehemals formalen Hierarchie erlebt hatten (»Mein Vorgesetzter ist für meine Probleme und Konflikte verantwortlich«) war nun ohne diese Hierarchie die Verantwortung bei jeder Einzelnen: Wo gehe ich jetzt mit meinen Konflikten hin? Wie und mit wem kann ich sie lösen? Für die eigenen Entscheidungen
und für die eigene Entwicklung verantwortlich zu sein, erzeugte Druck.

Organisationsentwickler Achim Hensen / © Traum-Ferienwohnungen

Der Organisationsentwickler Achim Hensen erinnert sich an diese erste Phase: »Wir haben den Leuten nicht genug mitgegeben, aber viel probiert.« Es wurde die Rolle der KoKos (Kooperationskollegen) eingeführt, um mit Methoden und Prozessen die Konfliktklärung oder Entscheidungsfindung zu unterstützen.
Was auch Hensen überrascht hat, war, wie schnell beim Übergang in die Selbstorganisation Konflikte sichtbar werden. »Sie kommen auf einen Schlag an die Oberfläche, als ob du nach 15 Jahren die Decke wegziehst.« Jetzt hieß es, alle Konflikte zu bearbeiten und gleichzeitig selbst als Changetreiber dafür verantwortlich
gemacht zu werden. »Seither haben wir drei Jahre lang mit interner Prozessbegleitung und Coaching unfassbar viele Konflikte gelöst und arbeiten gleichzeitig daran, die Fähigkeit aufzubauen, dass mit neuen Konflikten konstruktiv umgegangen wird.«

Manche Mitarbeitende kündigten, weil es ihnen zu viel war, weil sie der Idee
nicht folgen konnten oder eine (formal-)hierarchielose Firma nicht zu ihrem persönlichen Karriere- und Aufstiegsplan passte. Auch den Gründern fiel die Umstellung anfangs schwer. Die eigene Entscheidungshoheit abzugeben und zu erleben, wie Mitarbeitende oder Teams plötzlich ganz andere Entscheidungen treffen, sei schwer gewesen. Erleichtert habe sie die Erinnerung, dass sie zuvor im Managementteam ja auch immer mal wieder falsche Entscheidungen getroffen hatten.

Persönliche Verluste

Die Tempi in der Organisation unterschieden sich deutlich: Manchen ging der Wandel zu schnell und zu tief. Sie verloren ihre Titel und ihre Sicherheit, ohne dass es zu Beginn einen für sie nachvollziehbaren »Case for Action« gegeben hatte (»Uns ging es doch gut!?«). Andere empfanden die Widerstände als lähmend. Sie wollten die Idee verfolgen und den Prozess treiben (»Ihr lähmt alles mit Euren Zweifeln!«).

Noch heute, so schätzt Hensen, halten manche Mitarbeitende die Idee für verrückt. Er vermutet, dass dahinter auch Verletzungen liegen, die ganz zu Beginn entstanden sind. Obwohl sie alles versucht hatten, um jede in die Veränderung einzubeziehen, hätten sie ein paar Leute und Rollen vergessen. »Vor allem jene, die damals verantwortlich waren für Prozesse, die das Unternehmen erfolgreich
gemacht haben, kamen emotional unter die Räder. Stell Dir vor, Du bist extrem
erfolgreich und dann kommt jemand und sagt, wir wollen es anders machen.«

Die nicht ausreichend angekommene Wertschätzung für ihre Leistung und ihren Erfolg sieht Hensen rückblickend als einen Fehler. »Marginalisierung der Herausforderung, die es für Einzelne bedeutet, sollten wir verhindern. Wir sollten einem Raum für Diskurs geben, selbst wenn es dazu führt, dass Kollegen dann kündigen. Das wäre sinnvoller für alle, als Themen
nicht zuzulassen und dann trotzdem darunter zu leiden.« Ziel sei es für Traum-Ferienwohnungen,
eine wirklich lernende Organisation zu werden, die in der Lage ist, auch mit den inneren Gegenströmen umzugehen. Die wagt, sie anzuhören
und die Funktionalität darin zu entdecken. »Aber nicht, um es mit Zwang jedem Recht zu machen oder sich in den Lösungen zu sehr auf die fünf Prozent zu konzentrieren, denen es nicht schmeckt.«

Prozesse als Hebel

Zwei Jahre später hat die Organisation vieles gelernt. Der Organisationsentwickler beschreibt den Recruiting-Prozess als einen wichtigen Hebel. »Es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die hilfreich sind in der Selbstorganisation: Die Offenheit für Feedback, der Umgang mit Unsicherheit genauso wie die Reflexionsfähigkeit, dass es mehrere Wahrheiten geben kann.« Der Recruiting-Prozess wird dementsprechend ständig weiterentwickelt, um Mitarbeitende zu finden, die in der neuen Organisationsform andocken können.

Auch am Gehaltsfindungsprozess wird immer noch geschraubt. Im ersten Jahr
gab es Tendenzen zur Verlagerung des Themas in die Teams und die Aufforderung an jede Einzelne, ihre prozentuale Forderung nach Gehaltserhöhung vor den anderen zu begründen. Das hat Druck ausgelöst und hatte Vor- und Nachteile. Im
zweiten Jahr gab es zwei Personen (nicht die Gründer), die die Verantwortung übernommen hatten, die Gehälter festzulegen. Sie hörten sich alle Anliegen an, wogen dann nach Potenzial, marktüblichen Gehältern und Bedürfnissen ab und verteilten den gesamten Gehaltstopf. Daraus haben die Mitarbeitenden für dieses Jahr mehre Optionen besprochen und entwickelt. Einige Teams haben sich entschieden, die Gehälter in kompletter Transparenz und in der Gruppe zu besprechen. Andere haben gewählt, das Thema durch die HR-Kolleginnen entscheiden zu lassen. »Wir sind hier sicher noch nicht am Ende der Reise. Wir bitten alle Kollegen regelmäßig zu einer Reflexion, um zu lernen, was gut und was nicht so gut war«, erzählt Achim Hensen.

Axel Springer steigt ein

Im April 2016 kaufte die @Leisure Group, ein Tochterunternehmen der Axel Springer AG, 50,01 Prozent des Unternehmens. Mastalka und Armbrust halten weiterhin die restlichen Anteile und blieben als Geschäftsführer im Unternehmen. Der teilweise Verkauf der Firma war herausfordernd für die Belegschaft. Basis der neuen Organisationsstruktur ist Vertrauen – das Vertrauen, dass jede zum Ganzen
beitragen will, das Vertrauen in die Entscheidungen der anderen. Viele Mitarbeitende hatten am Erfolg und auch am anstrengenden Wandel mitgearbeitet. 15 Jahre lang waren sie stolz, kein Risikokapital aufnehmen zu müssen. Als die Gründer die Mehrheitsanteile der Firma an Axel Springer verkauften, gehörten sie
plötzlich einem Mehrheitseigner, der in anderer Logik tickt, Quartalsberichte einfordert und trotz großer Faszination von der Selbstorganisation das Subsystem nicht komplett verstehen kann und die Versuchung besteht, das erworbene Unternehmen in die eigenen Prozesse zu integrieren.

Fragen, die die Mitarbeitenden bewegen, waren: Welchen Einfluss wird das klassisch organisierte Riesenverlagshaus langfristig auf die kleine Insel Traum-Ferienwohnungen
nehmen und inwieweit hat Selbstorganisation in einem hierarchischen Muttersystem Zukunft? Zugleich könnte es umgekehrt spannend sein, ob auch die kleine Insel Eindruck im Muttersystem hinterlässt und dort Nachahmerinnen findet. »Es kommt darauf an, gleichzeitig an guter Selbstständigkeit sowie Eigenverantwortung zu arbeiten und gemeinsam die Schnittstellen zu
gestalten, die man nutzen kann, um gemeinsam zu lernen und erfolgreich zu agieren, dort wo es wirklich Sinn macht«, beschreibt Achim Hensen die Situation.

Die Learnings

Rückblickend ergeben sich für Hensen, der die Transformation mit angestoßen
hat, drei Lernpunkte. So sei es als erster Lernpunkt hilfreich gewesen, in der Gruppe der Changetreibenden bewusster mit der eigenen Anspannung umzugehen. Gemeinsam mit den Gründern erlebte er das Team der Changetreiber in dem Spannungsfeld, auch nicht zu wissen, wo es genau hingeht und wie der Weg richtig zu gehen sei. Diese persönliche Spannung übertrug sich in die Organisation. »Beim nächsten Mal würde ich mehr Wege für uns entwickeln, wie wir persönlich Entspannung erreichen, um so auch die Organisation in dieser Zeit davon zu entlasten.«

Der zweite Lernpunkt ist die Anerkennung des Geleisteten zum Start der Transformation. Leistungs- und Erfolgsträgerinnen eines Systems brauchen Wertschätzung und einen ausführlichen Diskurs, wozu eine Veränderung trotz des Firmenerfolgs notwendig sei. Als nächsten Schritt hätte es mit jenen, die den Sinn des Change nicht teilen konnten, eine noch bewusstere Arbeit und eine bewusste Integration von Einwänden geben können, anstatt dem Wegschauen und Fokussieren auf die Unterstützenden sich jenen Kolleginnen zu widmen in der Haltung, dass darin eine wichtige Information für den Prozess enthalten sein kann, der der Transformation nicht schadet, sondern nutzt.

Den dritten Lernpunkt nennt Achim Hensen eine andere Voraussetzung zum Start. »In den Grundstrukturen hätten wir unsere Startversion etwas ›fertiger‹ haben können. Auf bestimmte Standardprozesse hätten wir in einer idealen Welt schon eine Antwort haben sollen, als wir gestartet sind: Wie werden Entscheidungen getroffen, wie geht strategischer Diskurs, wie geht Konflikt?« Er sieht auch Vorteile in der gemeinsamen Entwicklung dieser Antworten im Prozess, nimmt aber an, dass es den Change vereinfacht hätte, wenn zu Beginn schon mehr strukturelle Bauteile zur Verfügung gewesen wären. »Firmen, die sich heute auf diesen Weg machen, haben es da schon leichter, aus Erfahrungsberichten wie unserem zu lernen.«